Das Smarthome steht im Fadenkreuz – immer wieder. ©digitalzimmer

Smarthome-Kritik ist so schön populär

Diesen Monat war es wieder soweit. Investigative TV-Magazine von „Galieo“ bis „Wir im Saarland“ haben ihren Zuschauern die Gefahren unserer Zeit vor Augen geführt. Im Smart Home – so die Botschaft – ist niemand vor Bespitzelung sicher. Hacker dringen von außen in die privaten vier Wände ein. Sie übernehmen Kameras und terrorisieren Bewohner mit Licht und Lärm in der Nacht.

Haben wir doch schon immer gewusst, sagt das Fernsehvolk mit wohligem Gruseln und erinnert sich an ähnliche Beiträge von Plusminus oder Wiso im vergangenen Jahr. Dass die gezeigten Sicherheitslücken nur bedingt mit der Gebäudetechnik zu tun haben: geschenkt. Ein Keyword-Paar wie Hacker + Smarthome klickt einfach gut im Internet. Die aufgerufenen Experten, meist Vertreter eines Sicherheitsunternehmens oder Anbieter von Virenschutz-Programmen, könnten das Missverständnis aufklären. Sie tun es aber nicht. Oder ihr Statement ist beim Videoschnitt unter den Tisch gefallen, weil es nicht so recht zum Tenor des Beitrags passte.

Hackers Liebling: die ungesicherte Webcam

Stattdessen wird auch zehn Jahre nach den ersten Berichten die Suchmaschine Shodan vorgeführt. Begleitet von dramatischer Musik und besorgten Mienen sind Live-Aufnahmen unverschlüsselter Webcams aus der ganzen Welt zu sehen. Bis hinein ins Babybett ahnungsloser Eltern reicht der Blick des Hackers – bevor sich dieser über ein nicht geändertes Standard-Passwort oder offene Ports am Router Zugang zum Heimnetz der Zielperson verschafft.

Dort angekommen kann der Eindringling im TV-Beitrag schalten und walten, wie er will. Die vernetzten Lampen, Lautsprecher oder Hausgeräte setzen seinem Zugriff nur wenig Gegenwehr entgegen. Das trifft auf ungeschützte Computer und Smartphones im Haus natürlich genauso zu. Aber was sind schon geklaute Zugangsdaten fürs Online-Banking oder private Fotos im Vergleich zu einem Garagentor, das sich vor laufender Kamera wie von Zauberhand öffnet?

Menetekel der Smarthome-Kritiker: Shodan.io findet Geräte, die aus dem Internet angreifbar sind. ©digitalzimmer
Menetekel der Smarthome-Kritiker: Shodan.io findet Geräte, die aus dem Internet angreifbar sind.

Dabei lassen sich solche Horrorszenarien recht gut vermeiden, wenn die Bewohner ein paar Grundregeln für die Netzwerk-Sicherheit beachten. Wenn sie Standard-Passwörter durch schwer zu erratende Zeichenkombinationen ersetzen und keine Internet-Ports am Router öffnen. Wer nicht weiß, was er tut, sollte sich Portweiterleitungen, UPnP und andere Dinge, die ein Netzwerk von außen angreifbar machen, vielleicht besser verkneifen.

Zugegeben, ein Restrisiko bleibt. Es fehlt IoT- oder Smarthome-Produkten noch zu oft an „Security by Default“. Das heißt: Ihr Hersteller hat die Geräte nicht von Haus aus so eingestellt, dass sie Angreifer abwehren. Manche Billig-Importe aus China fallen auch durch Sicherheitslücken in der Software auf. Aber diese Probleme dem Smart Home insgesamt anzulasten, bringt überhaupt nichts.

Statt TV-Beiträgen, die Ängste schüren, bräuchten wir lieber mehr Aufklärung. Ein Bewusstsein, dass es bei Heimvernetzung nicht darum geht, die billigste Funksteckdose oder LED-Lampe zu ergattern, sondern ein solides, funktionierendes System. Gerade in Deutschland gibt es Hersteller wie Bosch oder EQ-3, die sich das Thema Sicherheit auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Aber Kritik am Smarthome ist einfach so schön populär. Es findet sich immer jemand, der zustimmt. Die einen fürchten, Haustechnik mache ihre Besitzer fett und träge. Schließlich müssten diese nicht mehr aufstehen und zum Lichtschalter gehen. Andere sehen schon in der bloßen Existenz von Smartlocks die Einladung zum Wohnungseinbruch. Ein Wunder, dass heutige Schließzylinder sich jemals durchgesetzt haben – wo sie doch von außen zugänglich sind  und der Schlüssel leicht in falsche Hände geraten kann.

Aufregung statt Aufklärung – das zieht immer

Deshalb beherrschen sogenannte Aufreger die Schlagzeilen. Aktuell diskutiert die Republik zum Beispiel über Amazon und seine Praxis, Tonaufnahmen von Alexa auszuwerten, um seine Spracherkennung zu verbessern. Kritik ist berechtigt, denn viele Fragen zu Geräten, die Daten ins Internet übertragen, sind bislang ungeklärt. Übers Ziel hinauszuschießen, bringt freilich auch nichts. Manch einer wünscht sich Ilse Aigner als Verbraucherschutzministerin zurück – damit sie als kämpferische Amazone nun Amazon an die Kandare nimmt, wie sie es Anno 2010 mit Google und Streetview getan hat.

Kehrseite der Medaille: Streetview weist in Deutschland bis heute viele blinde Flecken auf. Sie wurden nicht erfasst, weil Bürger damals Einspruch erhoben haben – getrieben von Medienberichten und der Angst, ein vorbeifahrendes Google-Auto könnte sie zufällig ablichten. Diebesbanden, so hieß es, würden die Aufnahmen als Planungsgrundlage für ihre Raubzüge nehmen. Die große Einbruchswelle ist ausgeblieben. Und heute, zehn Jahre später, fahren die Google-Autos wieder. Ohne jeden Aufschrei.

Verpixelte Straßenzüge auf Streetview: Die Bewohner haben Einspruch gegen die Erfassung eingelegt.
Verpixelte Straßenzüge auf Google Streetview: Die Bewohner haben eine Abbildung untersagt.

Alexa ergeht es vielleicht gerade ähnlich. Ein Beispiel dafür dürfte meine Mutter sein. Die 80-jährige Dame zählt mit iPad und iPhone wahrlich zur digitalen Avantgarde in ihrer Altersklasse. Mit Technik geht sie souverän um. Sei es das Navi im Auto oder der Festplatten-Recorder am TV. Trotzdem verschwand der Echo Show, den ich ihr vorletztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte, schnell wieder im Karton. Zu beunruhigend waren die ganzen Fernsehberichte über Lauschangriffe und mithörende Alexas in der Wohnung. Der Vorteil, auf unkomplizierte Weise mit der Familie in Kontakt zu bleiben, trat da zwangsläufig in den Hintergrund.

Ich hoffe, das Smarthome verliert seine Schrecken für die Allgemeinheit, bis ich einmal im Rentenalter bin. Denn unsere geburtenstarken Jahrgänge werden jede digitale Unterstützung brauchen, wenn wir lange und gesund in den eigenen vier Wänden leben wollen.