Der Krieg in der Ukraine hat ein Thema auf die Tagesordnung gebracht, das bislang zu wenig Beachtung fand: die Energiekosten und den Energieverbrauch privater Haushalte. „Wer Putin schaden will, spart Energie“, empfahl Wirtschaftsminister Robert Habeck (Link). Ursula von der Leyen rief im Namen der EU-Kommission dazu auf (Link) und Ex-Bundespräsident Joachim Gauck appellierte: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit.“ (Link)
Der Krieg in der Ukraine und steigende Energiekosten haben den privaten Verbrauch auf die Tagesordnung gebracht.
Erwartbar groß war die Aufregung in den Medien. Der öffentliche Fokus schwenkte auf Geringverdienende – repräsentiert von Menschen wie Susanne Holtkotte in der Sendung „Hart aber Fair“ (Link). Die Reinigungsfachkraft aus Nordrhein-Westfalen fragte zu Recht, wie sie ihre Heizung zu Hause noch weiter drosseln soll. „Dann brauche ich in der Wohnung einen Pelzmantel.“
Es ist die Aufgabe von Politik, solche Härten auszugleichen. Denn viele Betroffene haben sich ihr Schicksal nicht ausgesucht. Andere aber schon. Und wer ritualisiert die immer gleichen Alleinerziehenden auf dem Land zitiert, die 130 Kilometer am Tag im Kleinwagen zur Arbeit pendeln müssen, liefert auch Argumente für Trittbrettfahrer. Ich meine Sie und mich – die breite Mitte der Gesellschaft, die es sich im fossilen Lifestyle bequem gemacht hat.
Dass fast 70 Prozent aller Berufspendler mit dem Auto zur Arbeit fahren und der Kraftfahrzeugbestand in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um 14 Prozent zulegte, zeigt das ganze Ausmaß der Fehlentwicklung (Link). Genauso wie die Tatsache, dass jeder vierte Neuwagen hierzulande inzwischen ein SUV ist (Link) und 71 Prozent des Güterverkehrs statt umweltfreundlich auf der Schiene mit Lkw über die Straßen transportiert werden (Link).
Dass fast 70 Prozent der Berufspendler mit dem Auto zur Arbeit fahren, zeigt das ganze Ausmaß der Fehlentwicklung.
Es macht mich ratlos, dass wir jahrelang über Tempolimits, Homeoffice und Veggie-Days diskutieren, statt die Themen wirklich anzupacken. Und dass die Debatten dazu völlig unsachlich geführt werden – als irrationale, emotionale Feldzüge. Weil es bequemer ist, sich über eine vermeintliche Diktatur und Freiheitsberaubung aufzuregen, als die eigenen Gewohnheiten zu überdenken.
Wie groß war die Entrüstung als 2009 die erste Stufe des EU-Glühlampenverbots in Kraft tat. Mit Hamsterkäufen versuchten die Deutschen, sich gegen Bevormundung aus Brüssel zu wehren: Im ersten Halbjahr wurden fast zehn Millionen Glühbirnen mehr verkauft als im Vorjahreszeitraum (Link). Langfristig hat die Entscheidung aber viele Terawatt an Einsparung gebracht. Der jährliche Energieverbrauch für Beleuchtung in Deutschland ist um fast ein Viertel auf 242 Petajoule (67,5 TWh) zurückgegangen (Link). Gleichzeitig hat die LED-Technik der Energiesparlampen uns smarte Anwendungen beschert. Drahtlose Lichtsysteme wie Philips Hue, die Farbtemperatur und Helligkeit an den Tagesverlauf anpassen, wären mit traditionellen Glühlampen niemals möglich gewesen.
Der Energieverbrauch für Beleuchtung in Deutschland ist um fast ein Viertel zurückgegangen – auch dank LED-Technik.
Nun geht es also ums Heizen – und da ist das Einsparpotenzial noch viel größer. Der Energieverbrauch für Raumwärme und Warmwasser macht 86 Prozent des Gesamtverbrauchs in Privathaushalten aus (Link). In über der Hälfte aller Wohnungen kommt diese Energie aus Gas (Link) und somit zu 49 Prozent aus Russland (Link).
Es gibt ein probates Mittel, um den Verbrauch von Heizenergie zu senken und das heißt Einzelraumregelung. Es wirkt der irrigen Vorstellung von Komfort entgegen, dass ein modernes Zuhause überall gleich warm sein muss – sogar tagsüber im Bad, für den Fall, dass sich jemand die Nase pudern will. Laut Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) liegt die durchschnittliche Temperatur beheizter Räume in der EU bei mehr als 22 Grad (Link). Ein Grad weniger könnte laut IEA bis zu 10 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr einsparen, was dem Gesamtverbrauch von Österreich entspricht.
Zur Erinnerung: Bis in die 1990er-Jahre waren Gaseinzelöfen in vielen Altbauwohnungen Standard. Ihre Bewohner haben Zimmer geheizt, in denen sie sich aufhielten, und nicht Räume, die sie im Laufe des Tages vielleicht kurz betreten würden. Mit smarten Thermostaten lässt sich das selektive Heizen verfeinern und optimieren. Hersteller EQ-3 hat es mit einem Pilotprojekt in Leer gerade wieder gezeigt: An einer Berufsschule senkten intelligente Heizkörperregler und Fensterkontakte den Verbrauch um 31 Prozent (Link).
Frieren muss deshalb niemand. Die meisten Smarthome-Bewohner werden keinen Unterschied feststellen. Und wenn schon. Vielleicht wird es Zeit, sich ehrlich zu machen und einzugestehen, dass die bisherige ressourcenfressende Lebensweise ein Irrweg war.
Es wird Zeit, sich einzugestehen, dass die bisherige ressourcenfressende Lebensweise ein Irrweg war.
Wir können weiterwursteln wie bisher, uns selbst einlullen und Versprechungen glauben, dass es ohne jeden Verzicht geht. Die Politik tendiert dazu, um der deutschen Wirtschaft und des sozialen Friedens willen – und um keine Wähler zu verprellen. Es werden sich bestimmt auch weiterhin Autokraten und totalitäre Staaten finden, die uns gerne auf diesem Weg begleiten.
Allerdings sollte auch klar sein, dass dann andere die Zeche für unseren Wohlstand bezahlen – in China, Bangladesch und Afrika, auf der Arabischen Halbinsel oder ganz brutal wie jetzt die Ukrainer. Der Krieg in der Ukraine muss enden, aber die Transformation der Gesellschaft steht dann noch ganz am Anfang.
Der Kommentar von Frank Oliver Grün trifft genau meine Meinung. Seine Überlegungen zum Heiz”komfort” sind schlüssig, die Fakten zutreffend.
Den Verkehrsbereich hat er angerissen, aber dazu könnte man noch mehr sagen: So lange das Reisen mit dem Flugzeug und das Rasen auf der Autobahn nicht verteuert wird, obwohl davon die Kleinverdiener überhaupt nicht betroffen sind, erweckt die Regierung den Eindruck, dass wir gar kein Energieproblem haben. Ob das der Sache dient?