Was bisher geschah: Amazon, Apple und Google haben zusammen mit anderen Unternehmen ein Entwicklungsprojekt ins Leben gerufen. Es trägt den Namen Connected Home over IP (LINK) und soll einen offenen Standard für Smarthome-Geräte schaffen.
Was jetzt passieren könnte: Der Wildwuchs an Schnittstellen, der im Smart Home herrscht, wird vielleicht endlich auf ein erträgliches Maß zurechtgestutzt. Denn inkompatible Geräte und Systeme sind immer noch die größte Hürde, wenn es um Heimvernetzung geht. Da mag es noch so viele Smarthome-Studien geben, die wachsendes Konsumenteninteresse verzeichnen und Herstellern eine blühende Zukunft prophezeien. Solange die Technik so kompliziert bleibt wie sie ist, wird das nichts mit dem Massenmarkt.
Konkurrenz belebt das Geschäft. Von wegen.
Verbraucher, die sich für smarte Lampen oder Heizungsregler interessieren, sehen häufig den Wald vor lauter Bäumen nicht. Warum kann ein Lichtsystem wie Philips Hue keine Thermostate bedienen? Wieso versteht die Funkzentrale von Hersteller A, die Produkte von Marke B nicht, obwohl sie doch eigentlich dieselbe Sprache spricht? Weshalb variiert die Wiedergabefunktion im Multiroom-Audiosystem, je nachdem welche Steuerung man verwendet?
Solche Fragen füllen User-Foren und Facebook-Gruppen zuhauf. Ganz einfach, weil es keine pauschale Antwort darauf gibt. Amazon, Apple und Google haben versucht, sie zu geben. Mit Alexa, HomeKit und dem Assistant holen sie Geräte anderer Hersteller auf ihre Plattformen – und sperren gleichzeitig andere aus.
Zwangsläufige Folge: Smarthome-Anbieter, die viele Kunden erreichen wollen, müssen alle drei Systeme unterstützen. Das gelingt großen Namen wie Philips Hue, Sonos oder Tado natürlich leichter als kleinen Unternehmen. Denn jede Anpassung oder Zertifizierung für Alexa, HomeKit und den Google Assistant kostet Geld. Den Nutzer stürzen die konkurrierenden Systeme in heillose Verwirrung. Um eine Kaufentscheidung zu treffen, muss er Blogs wie diesen studieren, andere Heimvernetzer um Rat fragen und schon zu Beginn jede spätere Systemerweiterung durchdenken. Ein Unding.
Vereint marschieren, getrennt schlagen.
Mit Connected Home over IP soll das nun anders werden. Ziel des Projekts ist ein offener Standard, der Smarthome-Anbietern gebührenfrei zur Verfügung steht. Er soll auf dem Internet-Protokoll (IP) basieren und etablierte Funkverfahren nutzen. Neben WLAN bis hinauf zur jüngsten Generation WiFi 6 (802.11ax) sind die energiesparenden Protokolle Thread (802.15.4) und Bluetooth Low Energy (4.1, 4.2 und 5.0) im Gespräch. Die ebenfalls beteiligte Zigbee Alliance (LINK) bringt ihre IoT-Sprache Dotdot in das Projekt mit ein.
Für die Hersteller heißt das: Sie müssen künftig weniger Entwicklungsaufwand leisten. Ein Gerät, das den Spezifikationen von Connected Home over IP entspricht, wäre automatisch mit Alexa, Apple HomeKit und dem Google Assistant kompatibel. Über SmartThings, das zu Samsung gehört, sitzt indirekt auch Bixby mit im Boot.
Anwender könnten sich über eine größere Produktauswahl freuen. Mit Ikea ist gerade ein ambitionierter Anbieter ins Führungsgremium der Zigbee-Allianz aufgestiegen, der auch an Connected Home over IP mitarbeitet. Netatmo ist über seine Konzernmutter Legrand an der Arbeitsgruppe beteiligt. Signify (Philips Hue), Schneider Electric (Merten, Wiser) und Somfy mischen ebenfalls mit.
Außerdem dürfte die Einrichtung und Wartung der Geräte einfacher werden. Das Projekt sieht zum jetzigen Zeitpunkt zwar keine standardisierten Bedienoberflächen vor. Es bleibt dem Hersteller überlassen, welche Sprachassistenten er unterstützt und wie er seine Apps oder Bildschirmmenüs gestaltet. Ob er seine Steuerung auf eine Funkzentrale stützt oder IP-basiert im Heimnetz laufen lässt.
Über einheitliche Prozeduren für die Installation neuer Geräte, über Software-Updates oder die Fehlererkennung im laufenden Betrieb denken die Projektgründer aber sehr wohl nach. Damit könnte es möglich sein, in Zukunft sicherheitskritische Firmware-Updates über das System eines fremden Herstellers einzuspielen. Eine Funktion, von der eigentlich jeder Smarthome-Nutzer träumt, der verschiedene Fabrikate in seiner Haussteuerung mixt.
Ein neuer Anlauf – mit mehr Aussicht auf Erfolg.
Noch sind das alles Absichtserklärungen. Die Smarthome-Historie ist voll von Initiativen, die pompös gestartet sind und dann kleinlaut in der Versenkung verschwanden. Man denke nur an Mozaiq, ein Start-up der Konzerne Bosch, ABB und Cisco, das die Netzwerkkommunikation von IP-Geräten vereinheitlichen sollte. Nach vier Jahren und Investitionen von mehr als 14 Millionen Euro (LINK) haben die Gesellschafter im März 2019 den Stecker gezogen.
Wer erinnert sich noch an die Allseen Alliance von Qualcomm, LG, Electrolux & Co., die mit dem Alljoyn-Protokoll etwas Ähnliches versuchte? 2016 in der Open Connectivity Foundation OCF (LINK) aufgegangen kann sie aktuell nur etwa 100 zertifizierte Produkte vorweisen – die meisten davon aus den Jahren 2018, 2017 und älter.
Trotzdem glaube ich, dass es dieses Mal besser läuft. Weil die Ausgangssituation eine andere ist. Mit Amazon, Apple, Google und der Zigbee-Alliance haben vier Partner die Führung übernommen, die bereits über etablierte Smarthome-Ökosysteme verfügen. Es sitzen auch keine Hausgeräte- oder TV-Hersteller am Verhandlungstisch, die ihre ärgsten Konkurrenten zum Mitmachen überreden müssen – was nach bisherigen Erfahrungen eher zum Scheitern verurteilt ist. Ihre Chance, miteinander zu kooperieren, haben die Endgeräte-Hersteller verschenkt. Warum wundert mich das nicht? Vielleicht, weil ich es schon 2017 erwartet habe.
Von einem offenen Standard profitieren alle.
Die Harmonisierung findet nun auf Plattform-Ebene statt. Mit dem Vorteil, dass wahrscheinlich alle Seiten profitieren: Die Hersteller von Smarthome-Geräten können mehr Kunden erreichen, die Plattform- und System-Anbieter auf eine größere Produktauswahl verweisen. Und Kunden müssen sich hoffentlich bald nur noch ein Kompatibilitätssiegel merken – das für Connected Home over IP.
Nebenbei steigt mit dem Open-Source-Projekt der Druck auf die Anbieter geschlossener Smarthome-Systeme. Ein Nutzer, der offene Geräte einsetzt, will diese Wahlfreiheit sicher auch bei weiteren Anschaffungen behalten. Er steigt nicht mehr so leicht auf eine herstellerspezifische Lösung um. Aber das ist eine andere Geschichte … Voraussichtlich Ende 2020 wissen wir mehr. Bis dahin möchte die Arbeitsgruppe einen ersten Entwurf ihrer Spezifikationen vorlegen.
Update vom 20.12.2019: Die Allianz bringt einiges in Bewegung. Überraschend hat das Z-Wave-Konsortium angekündigt, alle Spezifikationen seines Funkstandards offenzulegen (Link). Damit positioniert es Z-Wave quasi als Gegenentwurf zum Projekt von Amazon, Apple, Google und Zigbee. Z-Wave-Funk wird von Anbietern wie Devolo, Fibaro oder auch Homee verwendet. Allerdings gibt es derzeit nur einen Hersteller (Silicon Labs), der Funkmodule dafür herstellt. Ihm untersteht auch die zertifizierende Z-Wave-Allianz. Das wird sich nun ändern. In der zweiten Jahreshälfte 2020 soll es losgehen.