Apple und die Schattenseiten der iCloud

Um es abzukürzen: Der Kundendienst hat das Problem gelöst. Nach etwa vier Wochen kam per E-Mail eine „bereinigte“ Version meiner Adressbuch-Datei, die ich unter Anleitung des Support-Mitarbeiters einspielte. Dazu werden alle Geräte von der iCloud abgemeldet, die Adressen auf jedem einzelnen gelöscht und anschließend durch den neuen Datensatz ersetzt. Um eine zwischenzeitliche Synchronisation zu verhindern, muss die Internetverbindung getrennt sein. Das ganze Prozedere nimmt bei mehreren Mac-Computern, iPhone und iPad gut eine Stunde in Anspruch.  Ich habe es zweimal dreimal durchlaufen, weil ein weiterer Mac zwei weitere Macs nach dem Update auf OS X 10.10 genau denselben Fehler zeigten. Außerdem sind nach jedem Zurücksetzen die Porträt-Fotos der Kontakte weg. Sie müssen einzeln wieder hinzugefügt werden – sofern man irgendwo ein Backup der Bilder hat.

Der totale Daten-Striptease

Die viele Zeit, die am Ende dafür draufging, ist eine Sache. Dass man gegenüber dem Hersteller sein digitales Leben offen legen muss, eine ganz andere. Denn damit der Kundendienst den Fehler suchen und eingrenzen kann, benötigt er vollen Zugriff auf die Apple-ID. Was bedeutet: Sämtliche Sicherheitsstufen, die das Unternehmen nach dem unverschuldeten Skandal um geleakte Promi-Fotos eingeführt hat, werden für Apple-Mitarbeiter zeitweise außer Kraft gesetzt. Sie benötigen weder SMS-Codes noch andere Authentifizierungsmethoden, um sich am Konto anzumelden. Der Nutzer verliert sein selbst gewähltes Passwort und kann es auch später nie wieder verwenden. Stattdessen bekommt er temporär ein neues, das er während der Fehlersuche tunlichst nicht ändern sollte – weil er seine Helfer damit aussperren würde. Der Support, so die Versicherung meines Ansprechpartners, hat keinen Zugriff auf die Kreditkartendaten. Ansonsten dürfte er aber wohl alles sehen, was in der persönlichen Cloud so schlummert. Das ist keine Schikane von Apple, sondern ein prinzipielles Problem solcher Online-Dienste. Wie sollen die Experten einen Fehler finden, den sie ohne Zugriff  auf das Konto nicht einmal sehen können?

Ganz nebenbei tritt der Passwortwechsel eine Lawine an Fehlermeldungen los, weil in der vernetzten Apple-Welt so gut wie jedes Produkt an der iCloud hängt: iPhone und iPad genauso wie E-Mail, der AppStore, iTunes und die Streaming-Box Apple TV. Macht Dutzende von Eingabefeldern, die mit dem neuen, temporären Code gefüttert werden wollen. Außerdem verlangen App- und iTunes-Store eine erneute Bestätigung der Zahlungsdaten. Es könnte sich ja ein Fremder des Zugangs bemächtigt haben. Wenn – wie in meinem Fall geschehen – das temporäre Passwort zwischendrin erneuert wird, geht der Spaß von vorne los, inklusive aller Bestätigungs-SMS und Sicherheitsabfragen. Der Zeitaufwand dafür mag sich sich in Grenzen halten, an Nervfaktor sind die ständigen Eingaben kaum zu überbieten. Und das alles nur, um die privaten Kontakte komplett auf alle synchronisierten Geräte zu bekommen.

Apple verknüpft viele seiner Online-Dinste mit einem Kundenkonto, genannt Apple-ID.
Apple verknüpft viele seiner Online-Dinste mit einem Kundenkonto, genannt Apple-ID.

Zum Glück sind es nur Kontakte. Man stelle sich, vor die iCloud würde gekaufte Filme oder die persönliche Musik aus iTunes Match nicht mehr herausrücken. Dann hätten langjährige Kunden wie ich ein echtes Problem. Die Migration gekaufter Inhalte auf ein neues Konto ist laut Support nämlich nicht möglich. Immerhin bietet Apple – wie Amazon – einen funktionierenden Support, der gut erreichbar ist und pünktlich zur vereinbarten Zeit zurückruft. Nicht auszumalen, wie sich Kunden von Google oder Microsoft in so einem Fall behelfen sollen. Die kommen im Ernstfall nicht einmal durch: Beim Versuch, den Microsoft-Support über mein Outlook-Konto zu erreichen, erscheint gerade die Fehlermeldung „Leider sind technische Schwierigkeiten aufgetreten, aber wir arbeiten bereits an einer Lösung. Versuchen Sie es später erneut.“.

digitalzimmer.de meint: Was vor einigen Jahren als Cloud-Computing begann, ist längst zur persönlichen Identität im Netz geworden. Amazon, Google & Co. verbinden immer mehr Dienste mit den Konten ihrer Kunden. Apple lässt auf seinen Geräten bislang noch mehrere Accounts zu, etwa unterschiedliche E-Mail-Adressen für iTunes, AppStore und Messaging. Allerdings steigt der Druck, sich überall mit derselben Apple-ID anzumelden. So funktionieren die neuen Handoff- und Continuity-Funktionen von iOS 8 und OS X 10 nur, wenn alle beteiligten Geräte und Programme dasselbe Konto verwenden. Musik, Filme und TV-Serien hat das Unternehmen bereits unter diesem Dach vereint. Der kommende Bezahldienst Apple Pay setzt ebenfalls auf die universelle ID des Unternehmens. Ob HealthKit  für Gesundheitsdaten und HomeKit als Heimvernetzungszentrale darauf verzichten werden, muss sich erst noch zeigen. Keine Frage: Der Bedienkomfort steigt mit der Cloud in ungeahnte Höhen. Allerdings ziehen auch dunkle Wolken am Horizont herauf. Denn Probleme mit einem einzigen Zugang können auf diese Weise eine ganze Reihe von Diensten in Mitleidenschaft ziehen.

3 Gedanken zu „Apple und die Schattenseiten der iCloud“

  1. Wahnsinns Beitrag, ich hatte gerade selbst noch einen über die Vorteile geschrieben und wollte mal nachschauen ob es negative Erfahrungen gib. Das was die passiert ist, ist der Hammer, aber toll, dass man dir so gut geholfen hat, da merkt man dann den Unterschied doch etwas.

  2. Danke für den klasse Beitrag. Aber gibt es denn von Deiner Seite her Empfehlungen/Wege, dem entgegenzuwirken?

    Speicherst Du alles noch bei Apple, oder welchen Weg/Wege gehst Du?

    1. Vielen Dank für das positive Feedback. Der Zentralisierung von Online-Funktionen ist meiner Meinung nach wenig entgegenzusetzen, wenn man nicht auf den damit verbundenen Komfort verzichten will. Ich persönlich nutze die iCloud gerne für die Synchronisation von Adressen, Kalendern und Erinnerungen sowie für iTunes Match.

      Bei Dokumenten und Bildern fahre ich mehrgleisig. Hier sind plattformübergreifende Speicher wie Dropbox oder Flickr eine gute Alternative. Sie bieten mehr Funktionen und man kann nicht nur mit bestimmten (Apple-)Geräten darauf zugreifen. Meine Passwörter überlasse ich auch eher einem Drittanbieter-Tool als dem iCloud-Schlüsselbund.

      Ansonsten versuche ich regelmäßig Backups meiner Daten auf lokalen Speichern anzulegen – in möglichst öffenen Formaten. So zum Beispiel Adressen als VCF-Export, Kalender im ICS-Format und Musik als MP3-, AAC oder FLAC-Datei.

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