Technisch gesehen steckt die Qualität von Musik-Downloads noch immer in den Kinderschuhen. Seit Apple 2007 mit iTunes Plus die Datenrate seiner AAC-Dateien von 128 auf 256 Kilobit pro Sekunde anhob, hat sich wenig getan. Amazon verwendet den weniger effektiven MP3-Codec und liefert damit theoretisch eine noch etwas geringere Klangqualität. Für den Einsatz auf mobilen Playern und einfachen HiFi-Anlagen reicht sie locker aus. Anspruchsvolle Hörer wünschen sich aber schon lange Downloads, die wenigstens CD-Niveau erreichen.
Vereinzelt gibt es sie bereits, nicht selten auf Initiative der Künstler. So machte die Alternative-Rock-Band Radiohead ihr 2011er-Album „King of Limbs” im verlustfreien FLAC-Format verfügbar. Auch „All Things Must Pass” von Ex-Beatle George Harrison gaben die Erben des Künstlers zum FLAC-Download frei: Das Soloalbum des Leadgitarristen kann für 20 Britische Pfund auf georgeharrison.com gekauft und heruntergeladen werden. Spezialisierte Download-Portale wie highresaudio.com oder linnrecords.com liefern Fans ein wachsendes Angebot an sogenannten Lossless-Dateien – sogar in höherer Klangqualität als auf CD, weil sie hochauflösende Audiodaten bereitstellen. Mehr dazu in unserem Video „Was bedeutet High-Resolution Audio?” unten auf dieser Seite.
Und nun scheinen sogar die Riesen der Branche den Wunsch nach besserer Qualität zu erhören: Universal Music, vor Sony und Warner die größte der drei verbliebenen weltweit agierenden Plattenfirmen, experimentiert mit hochwertigen Audio-Formaten. So sind Tracks aus dem Universal-Katalog unkomprimiert auf dem Portal beatport.com zu haben – als AIFF-Datei. Anfang November vermeldete der Berliner Spezialist highresaudio.com ebenfalls die Verfügbarkeit von Universal-Titeln. Laut Stephan Steigleder, bei Universal Classics & Jazz für den Bereich Digitale Medien zuständig, läuft außerdem eine Kooperation mit Linn Audio und ab Dezember mit Musicload in Deutschland.
Das Repertoire enthält keine Mainstream-Acts wie Lady Gaga, Rihanna oder DJ Ötzi, die Universal ebenfalls unter Vertrag hat. Beatport hat sich auf elektronische Tanzmusik spezialisiert. Highresaudio und Linnrecords sind audiophile Angebote, die ihren Schwerpunkt auf hochauflösende Dateien mit 24 Bit und mindestens 88,2 Kilohertz Abtastfrequenz setzen. Folglich ist Universal hier mit klanglich anspruchsvollen Klassik-Aufnahmen seiner Labels Decca Classics und Deutsche Grammophon vertreten. Die Auswahl auf Highresaudio umfasst Musik von Bach, Debussy, Haydn, Mahler, Vivaldi und anderen Komponisten. Weitere Genres wie Jazz, Pop und Rock sollen nach Aussage des Portal-Gründers Lothar Kerestedjian erst in den kommenden Monaten folgen.
„Fast 18 Monate hat es gedauert, mit Universal das erste Major-Label für Highresaudio zu gewinnen”, erklärt Kerestedjian. „Dabei war es von Anfang an unser Ziel, auch Mainstream-Musik anzubieten”. Dass die großen der Branche so lange zögern, liegt seiner Meinung nach am zusätzlichen Aufwand: „Um Studiomaster in hoher Auflösung mit 24 Bit/96 kHz für uns zu finden und bereitzustellen, sind drei bis vier Leute im Unternehmen nötig: Labelmanager, Produktmanager, Technischer Leiter und Buchhaltung”. Dieser Personaleinsatz lohnt sich für die geringen Absatzzahlen auf kleinen Portalen offenbar nicht.
Allerdings müsste es für viele Musikfans gar kein High-Resolution-Audio sein. Sie wären schon froh, es gäbe ihre Lieblingstitel in normaler CD-Qualität zum Download (16 Bit, 44,1 Kilohertz). Apple hat mit seinem Lossless Codec ALAC vor Jahren die Voraussetzungen geschaffen, um CD-Titel ohne klangverschlechternde Datenreduktion über iTunes zu verkaufen. Der dafür verwendete MP4-Cotainer mit der Endung .m4a dürfte dieselben Möglichkeiten zum Digitalen Rechte-Management (DRM) bereithalten, die früher in kopiergeschützten AAC-Dateien Verwendung fanden. Deluxe-Versionen von Download-Alben, im Apple-Jargon „iTunes LP” genannt, würden mit Lossless-Musik sogar eine Aufwertung erfahren. Derzeit bieten die teureren „LPs” zwar Bonusmaterial und ein digitales Booklet, aber keine klanglichen Vorteile gegenüber den normalen Audio-Dateien.
Es liegt also an den Musikkonzernen, etwas zu tun. Doch die zögern auffällig lange. Vielleicht möchten sie nicht noch stärker in Abhängigkeit von Apple geraten. Vielleicht sehen sie auch die Gefahr, eine wichtige Einnahmequelle zu verlieren: In Deutschland lebt die Branche nach wie vor von einem rückläufigen CD-Markt. Zwar sind die Umsätze mit digitaler Musik laut Bundesverband Musikindustrie e.V. im vergangenen Jahr um 17,5 Prozent gestiegen, den Löwenanteil von 86 Prozent erwirtschaftet aber immer noch die Compact Disc. Fällt das Klangargument für den CD-Kauf weg, könnten die Verkaufszahlen schneller fallen als bisher. Auch so geht der Markt schon „jedes Jahr zwischen drei bis fünf Prozent zurück”, gab Edgar Berger, Deutschlandchef von Sony Music, im Interview mit dem Handelsblatt zu Protokoll.
digitalzimmer.de meint: Die Musikindustrie steckt im Dilemma. Auf der einen Seite des Marktes wächst eine Generation heran, die mit der Klangqualität von MP3 sehr zufrieden ist. Viele junge Hörer spielen ihr Lieblingsprogramm nur noch auf dem Handy ab. Wer älter ist, über eine leistungsfähige HiFi-Anlage verfügt und auf besonders guten Klang Wert legt, der wird zum Kauf von CDs genötigt – weil das Angebot an qualitativ hochwertigen Downloads nur langsam wächst. Eine Vielzahl an Dateiformaten (AIFF, FLAC, WAV) und Auflösungen (16 Bit, 24 Bit, 88,2 kHz bis 192 kHz) in den Shops macht es obendrein schwierig, die lossless codierte Musik überall abzuspielen. Solange es keinen allgemein akzeptierten Standard gibt, wird verlustfrei gespeicherte Musik eine Randerscheinung bleiben. Denn wer heutzutage Geld für Audio-Dateien ausgibt, der möchte sie auch universell nutzen – so wie bislang eine Audio-CD oder einen MP3-Download.
Update, 11.12.2011: Mittlerweile hat auch Musicload seinen „High Quality”-Service mit einer Auswahl unkomprimierter Songs gestartet. Das Programm stammt von Universal Music und umfasst zum Start rund 100 Alben der Genres Pop, Rock, Dance, Jazz und Klassik. Darunter Aufnahmen von Rihanna, David Garrett, U2, Adoro, Anna Netrebko und Amy Winehouse. Die Titel sind nicht in High-Resoultion-Qualität codiert, bieten aber immerhin CD-Qualität mit 16 Bit/44,1 kHz im WAV-Format. Einen Überblick gibt die Seite www.musicload.de/high-quality.