Google-Chef Eric Schmidt geht in die Vollen: „Bis zum Sommer 2012 wird die Mehrheit aller im Handel erhältlichen Fernsehgeräte Google TV integriert haben”, verkündete der CEO vollmundig auf der größten europäischen Internet-Konferenz – „Le Web 2011” – vergangenen Dezember in Paris. In der Praxis hieße das: Ein großer Teil der Fernseher wäre in der Lage, das laufende Fernsehbild mit Zusatz-Informationen aus dem Web zu ergänzen oder zu überlagern. Technisch geht das schon heute – die TV-Hersteller setzen dafür den Standard HbbTV ein (mehr dazu im Video unter Zusatz-Info unten auf dieser Seite).
Allerdings belassen es die Hardware-Produzenten nicht bei diesem Standard: Um zusätzliche Funktionen wie Video-on-Demand (VOD) Mediatheken oder Nachrichten- und Wetter-Apps zu realisieren, haben sie eigene Plattformen aufgebaut. Die Herstellersysteme wie Viera-Cast (Panasonic), Samsung Smart-TV oder Toshiba Places stellen abgezäunte Bereiche dar, die nur dem Besitzer der jeweiligen Marke zugänglich sind. Das hält die Nutzerzahlen so gering, dass freiberufliche Entwickler oder auch Internet-Firmen wenig Anreiz verspüren, Apps für das jeweilige System zu programmieren. Ein lukratives Öko-System, wie es für iPhone, iPad oder Android-Geräte existiert, konnte sich im TV-Sektor noch nicht entwickeln. Das ist mit ein Grund, warum Spekulationen über einen eventuellen Apple-Fernseher nicht verstummen wollen – er wäre die logische Konsequenz und eine weitere Abspielfläche für den App-Store des iPhone-Erfinders.
Nun schickt sich Google an, dem großen Konkurrenten aus Cupertino zuvor zu kommen: Die Plattform Google TV wurde gründlich überarbeitet, bekam eine bessere Benutzerführung und erlebte auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas ihren Neustart. Die Misserfolge der ersten Version scheinen vergessen. Der Rückzug des Zubehör-Herstellers Logitech, dessen viel zu teure Set-Top-Box Revue wie Blei in den Regalen lag, wird überstrahlt von neuen Partnern: LG und Samsung haben angekündigt, Geräte mit Google TV auf den US-Markt zu bringen. Sony, in den Vereinigten Staaten vom Start weg dabei, will die Plattform erstmals auch in Europa einführen. Für Sommer 2012 sind zwar keine Fernseher mit Google TV geplant, wohl aber ein Netzwerk-Player (Sony NSZ-GS7) und ein Blu-ray-Spieler (Sony NSZ-GP9). Der Google-Dienst lässt sich damit auf jedem TV-Gerät nachrüsten, ungeachtet von Marke oder Hersteller.
Spannend ist auch der Auftritt von LG im Reigen der GoogleTV-Unterstützer. Die Koreaner hatten auf der vergangenen IFA in Berlin noch eine gemeinsame App-Plattform mit Philips, Sharp und Loewe angekündigt. Sie sollte auf offenen Standards wie HTML5, CE-HTML und HbbTV beruhen und die Smart-TVs aller vier Hersteller für Entwickler attraktiver machen. Ein sogenanntes Software Developer Kit (SDK), das Programmierern die Arbeit erleichtert, war für Ende 2011 angekündigt. Jetzt muss das Quartett sich sputen, um gegenüber Google nicht ins Hintertreffen zu geraten. Denn Android, auf dem Google TV basiert, bietet alles, was die landläufigen Smart-TVs noch vermissen lassen: einen herstellerübergreifenden Marktplatz mit Bezahlfunktion, Tausende von Entwicklern und mehr als 400.000 Apps. Auch wenn davon nur ein Bruchteil auf künftigen GoogleTVs laufen wird – nämlich solche, die auch ohne Touchscreen zu bedienen sind – ist das ein unschätzbarer Vorteil im Kampf um die Kunden.
digitalzimmer.de meint: HbbTV hat eine steile Karriere hingelegt. Je nach zitierter Quelle verfügt jeder zweite bis dritte in Deutschland verkaufte Fernseher inzwischen über einen Internet-Anschluss – ein Großteil davon unterstützt den offenen Hybrid-TV-Standard. Allerdings ist HbbTV ein vorwiegend europäisches Phänomen und hat in den USA, Japan oder China längst nicht denselben Stellenwert. Hier könnte Google mit seinem schlüsselfertiger Hybrid-TV-Plattform ansetzen: Wie Smartphone-Hersteller bekommen TV-Produzenten das Android-Betriebssystem umsonst und die damit verbundene Infrastruktur inklusive Update-Funktion gratis obendrein. Als Gegenleistung tragen sie mit jedem verkauften Gerät zur Verbreitung des Google-Betriebssystems bei. Im Smartphone-Markt hat dieses Prinzip schon einmal bestens funktioniert.