Noch bezahlt kaum jemand im Laden mit dem Handy. Doch der Kampf um die elektronische Geldbörse von morgen ist bereits voll entbrannt. Nach Samsung und Visa in London (siehe Zusatz-Info unten) hat nun die nächste strategische Allianz ihre Stellung bezogen: Der Suchmaschinen-Vermarkter Google startet in Kooperation mit der amerikanischen Citibank und dem Kreditkartenunternehmen MasterCard ein neues Bezahlsystem namens „Wallet”.
Zunächst nur in New York und San Francisco verfügbar, soll Google Wallet im Laufe des Sommers auf die kompletten Vereinigten Staaten ausgedehnt werden. Wann der Dienst nach Europa kommt, steht noch nicht fest. Aber wenn das Kreditkartenunternehmen Visa im Zuge der Olympischen Sommerspiele 2012 ganz London mit PayWave-Bezahlstellen pflastert, dürfte sich Konkurrent MasterCard mit seinem Konkurrenzsystem PayPass nicht lange bitten lassen.
Zur Zahlung dient in beiden Fällen ein Smartphone, das den Kurzstreckenfunk NFC (Near Field Communication) unterstützt. Google startet mit seinem Android-Handy Nexus S 4G, das in den USA exklusiv vom Netzbetreiber Sprint angeboten wird. Weitere Modelle sollen folgen. Eine App macht das Telefon zur digitalen Brieftasche: An der Supermarktkasse, am Getränkeautomaten oder in der Boutique hält der Nutzer sein Smartphone an ein elektronisches Lesegerät. Nach kurzem Datenaustausch bittet ihn die Wallet-App, am Handy-Bildschirm einen PIN-Code einzugeben. Danach wird der fällige Betrag von der MasterCard-Kreditkarte oder einer virtuellen Google-Prepaid-Card abgebucht. Das Prepaid-Konto lässt sich mit jeder beliebigen Kreditkarte befüllen, Neukunden schenkt Google darauf ein Startguthaben von 10 US-Dollar. Zumindest bis Ende 2011 will das Unternehmen für den Prepaid-Service auch keine Gebühren erheben.
Woher diese Großzügigkeit? Sie passt zu Google. Das Unternehmen verdient sein Geld in der Regel nicht mit der unmittelbaren Dienstleistung, die Endkonsumenten sogar kostenlos angeboten wird, sondern mit der Vermarktung von Werbung. Dabei kann es hilfreich sein zu wissen, wo die Kunden gerne einkaufen und in Reichweite welcher Geschäfte sie sich befinden.
Wie der bargeldlose Impulskauf von morgen aussieht, hat Eric Schmidt – damals noch CEO von Google – auf dem Mobile World Congress Anfang 2011 beschrieben: Das Smartphone in der Tasche eines Konsumenten weiß, das dieser neue Hosen braucht. Als es dank GPS-Ortung feststellt, dass zwei Hosenläden in der Nähe liegen, weist ihn das Telefon darauf hin und präsentiert auch gleich die aktuellen Sonderangebote. In Schmidts Zukunftsvision besucht der Kunden nun den Laden, checkt dort per Handy mit seinen Konfektionsgrößen ein und bekommt ohne lange Warterei die Ware ausgehändigt. Er bezahlt mit seinem NFC-Telefon und Google weiß, dass die Werbung funktioniert hat.
Nun sind Bank-Konten keine E-Mail-Konten und die Menschen reagieren empfindlich, wenn es ums Geld geht. Deshalb hat Google nach eigenen Angaben Maßnahmen ergriffen, um Wallet sogar sicherer zu machen als eine konventionelle Brieftasche. Außer dem PIN-Code für Zahlungen gibt es einen extra Chip im Gerät, der die Kreditkarten-Informationen verschlüsselt speichert. Er arbeitet getrennt vom normalen Speicher des Android-Telefons und soll nur vertrauenswürdigen Programmen Zugriff auf die Daten gewähren.
Wie lange es dauert, bis Hacker diese Sicherheitssperren geknackt haben, dürften zum einen davon abhängen, wie schnell sich Google Wallet im Markt verbreitet – und zum anderen davon, wie vorsichtig Android-Nutzer mit der Installation von Apps aus unbekannten Quellen sind. Die Eingabe von PIN-Codes an öffentlichen Terminals ist und bleibt eine Sicherheitslücke. Wenn es Kriminellen gelingt, an Bankautomaten die PIN von EC-Karten auszuspähen, warum sollte das nicht auch mit NFC-Handys am Cola-Automaten geschehen?
digitalzimmer.de meint: Die Handy-Geldbörse wird kommen, ob es dem Einzelnen nun gefällt oder nicht. Die Vorteile liegen auf der Hand und die wirtschaftlichen Interessen dahinter sind enorm. Neben Google und den Kreditkartenunternehmen bereitet auch PayPal einen entsprechenden Dienst vor. Apple, munkelt man, soll im kommenden iPhone 5 ebenfalls auf NFC setzen. Daher wird das Bezahlen per Telefon in einigen Jahren so selbstverständlich sein wie heute ein Girokonto. Und Hand aufs Herz: Wer wünscht sich schon die Lohntüte der 1960er-Jahre zurück? Allerdings werden Handy-Bezahlsysteme nicht völlig kostenlos bleiben. Irgendjemand muss für den Betrieb von Servern und Sicherheitssystemen ja aufkommen. Wie häufig im Internet gilt dabei das Prinzip: Wer für einen Service nicht bezahlt, fühlt sich vielleicht als Kunde, er wird gleichzeitig aber auch zur Ware – weil jemand anderes mit seinen Daten Geld verdient.