RTL verabschiedet sich vom Überall-TV

Zu Hause, im Garten, auf der Parkbank oder gar im Auto – vor zehn Jahren startete DVB-T als digitales „Überall-TV”. Jetzt steht der digitale Antennenfunk vor einem Scherbenhaufen, nachdem bekannt wurde, dass sich RTL aus dem DVB-T-Fernsehen verabschiedet. Bereits Ende Mai 2013 will die Mediengruppe ihre Kanäle RTL, RTL2, Vox und Super RTL im Großraum München abschalten, Ende 2014 in den anderen Ballungsräumen. Außerhalb großer Städte waren die RTL-Sender auch bisher nicht zu empfangen.

Begründung: DVB-T hat zu wenig Marktanteil und kostet zu viel. Für die Übertragung seiner Sender müsse der Kölner Programmveranstalter 30 Mal mehr Geld ausgeben als via Satellit, so ein Punkt im RTL-Faktenpapier, das zur Begründung des Ausstieges verbreitet wurde. Das ist natürlich kein absoluter Wert, die Kosten sind umgerechnet auf den einzelnen Haushalt so hoch. Laut RTL sehen gerade einmal 4,2 Prozent aller Zuschauer das Programm der Sendergruppe via DVB-T, 95,8 Prozent dagegen via Satellit, Kabel und IPTV.

Ein weiterer Kritikpunkt von RTL betrifft die mangelnde Zukunftssicherheit der DVB-T-Übertragung. Die Übertragungskapazität ist – regional unterschiedlich – auf etwa 30 SD-Kanäle begrenzt, für HDTV und neue Geschäftsfelder wie Pay-TV fehle der Platz im Funk-Band, zumal 2010 einige ehemalige analoge TV-Frequenzen als „Digitale Dividende” für den Mobilfunkstandard LTE abgezweigt wurden. Diese Frequenzen fehlen laut RTL nun für eine Weiterentwicklung im DVB-T-Geschäft. Dazu gehört beispielsweise auch, dass fast alle Kanäle unverschlüsselt via DVB-T ausgestrahlt werden. RTL setzt dagegen für die Zukunft stark auf die Grundverschlüsselung und damit mögliche neue Geschäftsfelder wie Pay-TV. Die Grundverschlüsselung von SD-Kanälen der Privatsender wurde allerdings gerade erst vom Bundeskartellamt verboten, nicht aber für HDTV. Dafür wiederum müsste das Antennenfernsehen aber auf die neue Technik DVB-T2 umgestellt werden, die effektivere Codierverfahren, mehr verschlüsselte Kanäle ermöglicht. Eine solche Umstellung ist hierzulande kaum machbar, denn für den nötigen Parallelbetrieb von SD und HD beziehungsweise DVB-T und -T2 gibt es nicht genug Funkfrequenzen.

Neben den Sendern von RTL sind in den meisten deutschen Ballungsräumen auch die SD-Kanäle der ProSiebenSat.1-Gruppe via DVB-T empfangbar. Diese Senderguppe möchte sich bislang nicht festlegen, verlangt aber ebenfalls Weiterentwicklungen in Sachen Antennenversehen: Man könne sich einen Ausstieg aus DVB-T ebenso vorstellen wie eine Verlängerung oder die Einführung von DVB-T2. Letzteres ist laut Pressesprecherin Susanne Lang der bevorzugte Plan der ProSiebenSat.1 Media AG. Auch dem Münchner Sender ist wichtig, dass eine Lösung „wirtschaftlich tragfähig ist, und neue Geschäftsmodelle etabliert werden können”. Übersetzt steht auch das für die Forderung nach HD-Sendern, Grundverschlüsselung und Pay-TV-Option via DVB-T.

digitalzimmer.de meint: DVB-T ist für die Privatsender nicht das gleiche wie für ARD, ZDF und die Medienpolitik, die es gern als unproblematisches Überall-TV sehen. RTL und Pro7Sat1 wollen Geld verdienen – und zwar auf allen Übertragungswegen. Obwohl die Werbeumsätze im Fernsehen sprudeln wie selten, tun sie das angeblich nicht mehr mit klassischem TV, sondern setzen auf „neue Geschäftsmodelle” mit Grundverschlüsselung, Pay-TV-Kanälen und mobilen Premiumdiensten. DVB-T kann all das nicht. Abgesehen von einer erfolglosen Grundverschlüsselung der RTL-Sender in Stuttgart, Halle und Leipzig ist DVB-T komplett Free-TV. Vielleicht sollte das auch so bleiben – im Zweifel eben ohne Privatsender. RTL & Co. könnten ihre neuen Geschäftsmodelle neben Kabel und Satellit auch per Web-TV im mobilen Internet etablieren. Es gibt ja etwa bereits eine kostenpflichtige App, die das laufende RTL-Programm aufs Smartphone streamt – natürlich mit Werbung und Verschlüsselung.