Das Digitalradio bekommt eine letzte Chance

Digital Audio Broadcast, kurz DAB, gibt es in Deutschland seit 1995. Weil kaum jemand das sogenannte Digitalradio kennt, übersetzen Spötter die Abkürzung auch gerne mit „dead and buried” – „tot und begraben”. Doch nun soll alles anders werden: Am 1. August 2011 startet in Deutschland eine neue Initiative, den analogen Rundfunk gegen ein modernes, digitales Sendeverfahren zu ersetzen. Aus DAB wurde DAB+ und die Technik in weiten Teilen überarbeitet.

Marken wie Philips oder Sony bieten DAB+Radios an (Fotos: Hersteller)
Marken wie Philips oder Sony bieten DAB+Radios an (Fotos: Hersteller)

DAB+ hat den Vorteil, dass die Audiodaten weniger Übertragungskapazität beanspruchen als bisher. Statt im Codec MPEG-1 Audio Layer 2, können die Programme nun auch als AAC-Signal (HE-AAC v2) ausgestrahlt werden. Die Bandbreite sinkt damit von 128 bis 192 Kilobit pro Sekunde auf 64 bis 96 Kbps. Oder anders ausgedrückt: Bei gleicher Tonqualität passen mehr Programme in ein Senderpaket. Waren früher drei bis sechs Sender auf einem sogenannten Multiplex möglich, sind es nun bis zu 15 Radiostationen. Das macht die Verbreitung günstiger und soll langfristig die Programmauswahl vergrößern. Außerdem wurde die Sendeleistung erhöht, was den Empfang in geschlossenen Räumen verbessert. Aus Rücksicht auf die VHF-Sendeanlagen der Bundeswehr war DAB in den 1990er-Jahren so leistungsschwach gestartet, dass eine vernünftige In-House-Versorgung in vielen Regionen gar nicht möglich war.

Nachteil des Technologie-Wechsels: Die meisten DAB-Radios, die in den vergangenen 15 Jahren verkauft wurden, können DAB+ nicht wiedergeben – oder erst nach einem (kostenpflichtigen) Firmware-Upgrade, das kaum ein Hersteller für die Uraltgeräte anbieten wird. So kommen nur Besitzer oder Käufer eines aktuellen Modells mit dem Logo „DAB+” in den Genuss der neuen Ausstrahlungen. Marken wie Dual, Philips, Pure oder Sony bieten entsprechende Geräte an – zu Preisen ab etwa 50 Euro. In erster Linie handelt es sich dabei um Weck- oder Küchenradios, um Komplettsysteme und Lösungen mit iPod-Dock. HiFi-Komponenten wie der „Digital Media Tuner” C446 von NAD oder die Empfangsbox UP-DT1 für Onkyo-Receiver sind bislang die Ausnahme. Da DAB+ abwärtskompatibel ist, können die neuen Geräte grundsätzlich auch alle vorhandenen DAB-Sender empfangen. Deren Auswahl schwankt bekanntermaßen – je nach Region und Bundesland.

DAB+ bietet erstmals ein bundesweites Digitalangebot. Im August gehen 14 Stationen auf Sendung, darunter vier Kanäle des öffentlich-rechtlichen Deutschlandradios und diverse Privatsender. Besonders hervorzuheben ist der Fußballkanal 90elf von Regiocast, der die Rechte an Live-Übertragungen aller Bundesligaspiele hält. Außerdem dabei: Klassik Radio, Radio Energy und einem Bericht des Magazins „Werben & Verkaufen“ zufolge (W & V, Ausgabe vom 7. Juli) der Black-Music-Sender KissFM. Dass die Privaten an Bord sind, darf als Sensation gelten, denn bislang hielten die sich mangels Werbepotential zurück. Laut Informationen des Computermagazins „c’t” (Ausgabe 12/2011) haben Sponsoren wie Bosch, Pure oder Philips zum Stimmungswechsel beigetragen. Chip-Hersteller Frontier Silicon soll den Privatsendern Werbeeinnahmen von vier Millionen Euro über die nächsten vier Jahre garantiert haben.

Ob das reicht, dem Digitalradio zum Durchbruch zu verhelfen, muss die Zukunft zeigen. Denn viele Probleme löst der neue Standard zwar, aber etliche Nachteile bleiben. So werden vom Start weg bis zu 60 Millionen Hörer und die Hälfte des deutschen Autobahnnetzes erreicht, aber gerade im Auto, wo der störungsfreie DAB-Empfang besonders sinnvoll wäre, klaffen Empfangslücken. Straßentunnel zum Beispiel werden gar nicht versorgt und Regionen wie Kassel oder Rostock müssen bis auf weiteres ohne Digitalradio auskommen. Experten gehen davon aus, dass der vollständige Ausbau des bundesweiten Netzes bis zu zehn Jahre in Anspruch nehmen wird. Vielleicht haben sich die Politiker deshalb von der schnellen Analogabschaltung im Radio verabschiedet: Die heutigen UKW-Frequenzen sollen mindestens bis 2025 weitersenden dürfen.

digitalzimmer.de meint: Diesmal muss es klappen – eine weitere Chance bekommt DAB in Deutschland wahrscheinlich nicht. Zu groß ist die Konkurrenz aus dem Internet: Daheim liefern Webradio-Stationen ein riesiges Angebot in vergleichbarer Qualität – und unterwegs laufen Handy, Tablet & Co. dem monofunktionalen Digitalradio den Rang ab. Mag sein, dass es unsinnig ist, ein Programm über Audiostreams an viele Tausend Zuhörer zu schicken – aber die Technologie ist da und sie wird genutzt. Ob 14 Digitalsender in DAB+ daran viel ändern können, darf zumindest bezweifelt werden. Zum Vergleich: Die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e.V. zählte im vergangenen Jahr nicht weniger als 355 analoge Radiostationen in Deutschland.