iPhone 4S: Die Evolution der Enttäuschung

Irgendjemand ist immer enttäuscht, wenn Apple ein Produkt vorstellt. So auch diesmal nach der Präsentation des iPhone 4S am Dienstagabend deutscher Ortszeit. Fans der Marke hatten auf ein runderneuertes iPhone 5 gehofft – mit Retina-Display und handschmeichelndem Unibody-Gehäuse aus Aluminium. Die Medien hatten wochenlang den Hype um ein neues Kulthandy bedient: mit Fotos von vermeintlichen Schutzhüllen, von verlorenen oder geklauten Prototypen die Sehnsucht nach dem „Über-iPhone” geschürt.

Das iPhone 4S ist ab dem 14. Oktober 2011 in Schwarz und Weiß erhältlich. (Bild: Apple)
Das iPhone 4S ist ab dem 14. Oktober 2011 in Schwarz und Weiß erhältlich. (Bild: Apple)

Und nun? Die Wirklichkeit sieht gar nicht so faszinierend aus: Das iPhone 4S, ab 14. Oktober 2011 lieferbar, gleicht dem Vorgänger aufs Haar. Laut Apple fanden die Verbesserungen fast ausschließlich im Innern statt. So knipst die integrierte Kamera nun mit 8 Megapixeln, filmt in Full-HD-Auflösung (1080p) und soll sich vor allem durch ihre flinke Arbeitsweise auszeichnen. Serienfotoaufnahmen gehen laut Hersteller doppelt so schnell vonstatten wie bisher. Die Grafikleistung soll siebenmal höher liegen als beim Vorgänger und Spiele auf Xbox-Niveau ermöglichen. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst des Dual-Core-Prozessors, den das Unternehmen wie beim iPad selbst entwickelt hat.

Alles schön und gut, aber nicht gut genug für Apple, finden Branchenexperten. Von”Spiegel-” und „Focus-Online” über die „Süddeutsche” bis „Tagesschau.de”sprechen die Medien überall von Enttäuschung. Wie zum Beweis wird der Kurs der Apple-Aktie zitiert, der nach Präsentation des iPhone 4S um fünf Prozent nachgab. Das Technik-Weblog „Basic Thinking” sieht Samsung & Co. bereits triumphieren: „Wenn das alles ist, dann lacht die Konkurrenz”. Schließlich hätten Mitbewerber, so die Argumentation, technische Feinheiten wie eine Acht-Megapixel-Kamera und Dual-Core-Prozessor schon lange. Apple würde mit dem 4S nur zur Konkurrenz aufschließen, keinesfalls etwas Besonderes bieten.

So geht das nun schon seit Jahren. Bereits das erste iPhone im Jahr 2007 wurde mit Spott überhäuft: kein UMTS (3G), keine Weiterleitungsfunktion für SMS, weder „Copy & Paste” noch Multitasking. Am 3G-Modell fehlte der Blitz, die Fotoqualität reichte allenfalls für Schnappschüsse. Die 2010 vorgestellte Version 4 konnte endlich, was andere Hersteller schon lange boten, stand wegen ominöser Antennenprobleme und heimlicher Datensammelei aber wochenlang am Medien-Pranger. Dem Verkaufserfolg der iPhone-Familie hat das nicht geschadet. Sind Apple-Kunden also doch angeberische Masochisten, denen ihr Markenfetisch über alles geht – oder schlicht und einfach dumm, wie überzeugte Android- und Windows-Anhänger in einschlägigen Internet-Foren behaupten?

Beides mag in Einzelfällen zutreffen, die Mehrzahl der Käufer dürfte jedoch genau wissen, was sie tut. Sie setzt auf ein gut gepflegtes und kontinuierlich verbessertes Produkt. Das iPhone ist nicht erfolgreich, weil es so viel kann, sondern weil es das wenige, das Apple ihm überträgt, zuverlässig beherrscht. Die iCompany erzieht ihre Kunden zu treuen Nutzern, indem sie ihnen das Gefühl gibt, wertbeständige Technik zu kaufen. Vier Jahre nach Vorstellung des Ur-Modells sehen die Telefone immer noch so aus, dass man sich schnell auf ihnen zurechtfindet. Das neue Betriebssystem iOS 5 – mit dem iPhone 4S eingeführt – wird auf den Vorgänger-Modellen bis hinunter zum 3GS laufen. Selbst wenn dort mit spürbaren Geschwindigkeitseinbußen zu rechnen ist: Besitzer eines Telefons von 2009 bekommen mit iOS 5 eine Reihe neuen Funktionen zum Nulltarif. Von dieser Produktpflege können Android-Nutzer nur träumen.

Damit trotzdem ein Anreiz zum Neukauf besteht, funktionieren einige besonders leistungshungrige Extras immer nur mit der jüngsten Geräte-Generation. Beim iPhone 4 waren das Aufnahme und Schnitt von 720p-Videos sowie die Bild-Telefonie per WLAN mit „Facetime”. Im Falle des 4S bringt Apple die intelligente Sprachsteuerung „Siri” ins Spiel. Sie soll deutlich mehr können als das Google-Pendant auf Android-Smartphones, mit dem sich neuerdings auch auf Deutsch Anrufe tätigen, Webseiten öffnen oder Navigationsziele aufrufen lassen.

Siri ist eng mit dem Betriebssystem verbunden und „versteht” laut Apple logische Zusammenhänge. Vollkommen sprachgesteuert sollen sich damit E-Mails diktieren und verschicken, Rechenaufgaben lösen, der aktuelle Wetterbericht abfragen oder Termine planen lassen. Siri öffnet und schließt automatisch die benötigten Apps und fragt notfalls nach, wie ein Kommando gemeint war. Zwar traut Apple dem System selbst noch nicht ganz über den Weg und bezeichnet die aktuelle Software-Version des digitalen Assistenten als „Beta”, doch wenn die Sprechsteuerung funktioniert, könnte sie das Nutzungsverhalten ein weiteres Mal verändern. So wie der Touchscreen des ersten iPhone das Handy revolutioniert hat: Ein Smartphone ohne Tastatur oder Griffel, das nur mit dem Finger bedient wird? Anno 2007 war dieses Konzept nach Meinung vieler Experten zum Scheitern verurteilt – heute sehen Dutzende von iPhone-Klonen genau so aus.

digitalzimmer.de meint: Die Revolution ist ausgeblieben; oder kommt in evolutionären Schritten daher. Gerade darin besteht aber (neben erfolgreichem Marketing) ein Patentrezept der iPhone-Entwicklung. Weil Apple gar nicht erst versucht, die Smartphone-Konkurrenten mit Gigahertz, Megapixel, Displaygröße und 3D-Wiedergabe auszustechen, wirken die Produkte souverän – und irgendwie dem Wettbewerb entrückt.